Triggerwarnung: Der folgende Text behandelt das Thema Suizid.

Similia Similibus Curentur

Die Kontroverse um eine legislative Beschränkung von Social Media für Jugendliche bis 16 Jahren in Australien lässt sich inhaltlich kaum treffender nachvollziehen als an dem Drama der sogenannten TikTok-Zwillinge aus Hamburg. Zwei 18-jährige Schwestern werden bei einem selbstorchestrierten Dreh für irgendeine TikTok-Challenge vom Zug erfasst. Eine stirbt, die andere liegt erst im Koma, dann wochenlang auf der Intensivstation, wird mehrfach operiert und bleibt in der Folge körperlich gezeichnet. Das Vermissen schmerzt und lähmt am meisten, sagt sie in einem Interview, steigt zwei Jahre später in suizidaler Absicht erneut in die Gleise und scheitert an wachsamen Mitmenschen. Ein Wetteifern des schwer Erträglichen, in dem die Zeit die Wunden nur größer zu reißen scheint: der Tod der einen, das Schicksal der anderen. Der missglückte Suizidversuch. Der völlig überforderte Vater, der von den jüngsten Ereignissen über Journalisten erfährt. Ein analoges Elend.

Ein Elend, dessen Ursprung sich in diesem Fall besonders einfach auf Social Media schieben lässt und eine Dringlichkeit im Handlungsbedarf suggeriert. Obwohl die Frauen in diesem Fall bereits über 16 waren, stehen sie doch, extremer Weise, stellvertretend für die Dimensionen des Leids, die ein früher, Social-Media-bedingter Geltungsdrang und die Lokrufe öffentlicher Bestätigung in viel zu jungen Menschen hervorrufen können. Challenges wie diese oder beispielsweise das Würgen bis kurz vor die Bewusstlosigkeit reihen sich dabei in die Liste der in diesem Zusammenhang stets angeführten Formen beobachteter Korrelationen mit negativen Auswirkungen auf Heranwachsende: (Cyber-)Bullying, Verleumdung, Belästigung und verzerrte Körperideale sowie die unaufgeklärte Konfrontation mit Desinformation, Gewalt und Pornografie. Schlagworte, hinter denen sich eine Unzahl an zum Teil tief unter die Haut gehenden Schicksalen verbergen.

Andererseits steht Social Media im Zusammenhang mit positiv zu interpretierenden Korrelationen als Motor für Kommunikations- und Informationsfertigkeiten, fördert technische Fähigkeiten, kann das Selbstwertgefühl steigern und die freie Entfaltung der Persönlichkeit unterstützen. Und in psychischen Ausnahmesituationen wird die algorithmische Kuration von Inhalten als situationssensibler Kanal für resilienzfördernde Informationen gesehen, die ohne Social Media womöglich nicht gefunden worden wären. Die Möglichkeit, sich (anonym) durch öffentliches Gehör emotional zu entlasten und in den Austausch zu gehen, kann zudem sozialer Isolation entgegenwirken und Teilhabe ermöglichen.

Die Diskussion um ein Verbot findet argumentativ vor diesem für und wider statt und basiert, ob der dynamischen Entwicklung der Plattformen, oftmals auf empirischen Momentaufnahmen. Zusätzlich spielt in vielen Studien zu psychischen Auswirkungen von Social-Media-Aktivität Social Media zwar eine gewichtige Rolle, kann aber nur limitiert in kausale Zusammenhänge gesetzt werden. Gegner eines Verbots sind daher die, die viel zur Sache wissen und sagen: Wir wissen zu wenig, um mit Sicherheit in Aussicht stellen zu können, dass die positiv zu bewertenden Effekte die negativen überwiegen werden. Eine wissenschaftliche Grundlage, die ein Verbot für Jugendliche rechtfertigt, gibt es folglich nicht. Aber vielleicht braucht es das auch gar nicht.

Diskursiv wird argumentiert, der Zenit der Ära Social Media läge hinter uns, und wir bewegten uns nunmehr in einer Ära, in der das ‘Social’ in Klammern steht, wenn nicht gestrichen werden kann. Auf den Media-Plattformen ist ein Großteil der Nutzenden vornehmlich als konsumierend zu begreifen; nicht die Pflege und Erweiterung eines sozialen Netzwerkes, sondern das Inhalts- und Konsumgüterorientierte Vermerken von Interessen mischt sich in das Wesentliche. Vor allem die jüngeren Alterskohorten erstellen noch aktiv Inhalte, die im direkten Zusammenhang mit ihrer Privatperson stehen und sind dabei Dynamiken ausgesetzt, die selbst für viele Erwachsene schwer zu erkennen und zu reflektieren sind. Da liegt es doch nahe zu sagen: Wenn die Betreibenden einer Plattform es nicht schaffen, Dynamiken zu unterbinden, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit negativ auf die psychische Gesundheit Heranwachsender auswirken, und existierende Gesetze umzusetzen, indem garantiert altersgerechte Inhalte ausgespielt werden, schützen wir diese im Zweifel durch ein Verbot. Ein Kino, das nicht dafür garantieren kann, dass um 12.00 Uhr mittags nicht der neue Saw läuft und in der Pause möglicherweise Wendlers’ neueste Dick Pics gezeigt werden, würde man auch nicht achselzuckend als Hangout für Dreizehnjährige hinnehmen.

Tatsächlich aber dürfte dieses Verbot kurz- bis mittelfristig keine wirksamen Effekte verzeichnen, sondern die beste Werbung sein. Wer mit 13, 14 oder 15 Social Media nutzen will, wird Wege finden, es zu tun. Es ist jedoch die entschiedene Inanspruchnahme einer ideologischen rechtsstaatlichen Positionierung als Ausdruck einer Wertevorstellung, die einschneidend und freiheitsbeschneidend wirken mag und deshalb unbedingt zu diskutieren ist; aber auch als Ausbruch aus einer Ohnmacht gegenüber regulatorisch längst enteilten Unternehmen verstanden werden will, deren gesellschaftlich problematische Rolle tief im Geschäftsmodell einer Vereinnahmung und Veräußerung des Privaten verankert liegt und sich auch darin fortsetzt, dass die wissenschaftliche Bewertung der entscheidenden Fragen in vielen Fällen an der mangelnden Kooperationsbereitschaft der Plattformbetreibenden scheitert.

Als Alternative zu einem Verbot werden die Stärkung digitaler Kompetenzen bei Jugendlichen und Eltern sowie die zukünftig mit Leben zu füllenden Mechanismen des DSA gehandelt, die die Plattformen stärker in die Pflicht nehmen sollen. Das ist alles Teil einer Lösung, aber wenig visionär. Social Media ist mehr als die Meta-Plattformen und TikTok. Social Media ist alles, von LinkedIn und Strava über Reddit und Telegram bis hin zu Bluesky und Bumble. Social Media ist digitale Öffentlichkeit. Wenn Jugendlichen also nachhaltig die positiven Aspekte von Social-Media-Aktivität beibehalten werden sollen, müssen Öffentlichkeiten zusätzlich entzogen und gestaltet werden. Sinnvoll wäre ein parlamentarisch abgesichertes Bereitstellen von Räumen, in denen Jugendlichen die Potenziale und Mechanismen von Social Media lernen und nutzen können. Auf dem Fediverse basierende Räumlichkeiten, die derart lokal verankert sind, dass Verantwortungen im Community-Management über Schulen entstehen. Mit Herz und Verstand ersonnene applikative Umgebungen, die Kindern und Jugendlichen Spaß machen. Ein selbstverständlich werdender täglicher Zeitrahmen. Ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der eine wesentliche Rolle als medialer Inhaltslieferant und nationaler Gatekeeper zu den Trending Topics des offenen Internets spielt. Ein Ohr am Puls der Jugend, weil offene und belastbare Forschungsdaten entstehen. Einen politischen Willen und die Zeit, das umzusetzen. Und ein temporäres Verbot als strategisch deklariertes Mittel, diese Zeit zu erkaufen. Denn Gleiches mit Gleichem heilen zu wollen, eine allzu homöopathische Herangehensweise und letztlich nur der Glaube, dass alles besser wird.

Die schönste Version

Aufgehängt an der Anklage einer gefährlichen Körperverletzung im häuslichen Umfeld und der Unfassbarkeit der eigenen Situation, erzählt Jella ihre Geschichte über den Preis und das Ende gewaltvoller Liebe aus dem freien Fall im Echo der Endgültigkeit. Nicht abreißen wollende Fäden emotionaler Verbundenheit befeuern die unbändige Verwirrung, die einerseits das Momentum zu Ende gedachter Gedanken entfacht; andererseits immer wieder das grelle Licht therapeutischer Nüchternheit auf die eigene Rolle im Scheitern erzwingt. Stück für Stück und schonungslos werden so in weiblicher Nacktheit die losen Enden einer ostdeutschen Millenial-Wirklichkeit zusammengeführt, in der die Suche nach Liebe, oder das, was dafür gehalten wurde, immer oberste Priorität war und Maskerade ein selbstverständliches Mittel zum Zweck. Was aber, wenn der „bis in den November anhaltende Jahrhundertsommer” diese Suche für beendet erklärt und das einst gewählte Gewand die Version einer Selbst ist, die eben genau das nicht ist: man selbst und für den Winter zu dünn? In dem Versuch der Legitimation von Gefühlen, kann es auf die geschilderte justiziable Handlung und deren psychischen Folgen keine zwei Meinungen geben. Aber wenn es so einfach wäre. Die Liebe bleibt der einzige Ort, an dem Menschen ihre individuellen Gesetze schreiben dürfen. Emotionale Beweisführung hat Gewicht, alles ist wahr, nichts ist fair und Schuld tragen im Ende meistens zwei. Dieses Buch ist ein Beistand für Herzen, die sich aus diesem Grund auch höchstrichterlich nicht befrieden lassen haben. Und eine exemplarische Herausforderung für Geister, die sich an der Frage versuchen wollen was schwerer wiegt: psychische oder physische Gewalt?

Ripley

You cannot take a life without taking your own. Vielleicht kommt Ripley deshalb farblos daher, als eine Hommage in Schwarzweiß an italienische Treppen, das Licht und den Schatten. Licht und Schatten sind nicht nur stilistischer Spiegel der emotionalen Einfältigkeit des Protagonisten, dessen schuldbefleckte, auf Mord und Betrug gebauten Wirklichkeiten nur noch ein bedingt planbares, binäres Wanken zwischen Dolce Vita und Angst bedeuten, sondern auch bewusst gewählte Verengung im Storytelling, die der gekonnten Lichtsetzung eine besonders gewichtige Rolle zukommen lässt. Nahezu jedes Bild entfaltet so eine Kraft, die mitunter zwei Dinge gleichzeitig passieren lassen kann: die beinahe sekundäre Fortführung der Handlung über das ausgiebige Erzählen ohne Worte in wirklich exzellenter Bildsprache und das Hochleben eines Italiens aus dem letzten Jahrhundert. Dabei wird visuell viel zitiert; in Szene gesetzte und in Bilder übersetzte Gemälde schlagen elegante Brücken, die besonders Fans der Kunstgeschichte verzücken dürften. Darüber hinaus verleihen Natur, Architektur und Stadtbild Ripleys Niedertracht eine Klasse, die in ihrer Ansehnlichkeit den Wunsch weckt, die über viele Stufen so mühsam wie kaltherzig erklommenen Fallhöhen dieses Mannes mögen nie auserzählt sein.

F1ref1ghter2

Mit F1ref1ghter2 bekommt die Feuerwehr Hamburg im ZDF einen Klon der erfolgreichen Doku-Serie Feuer und Flamme aus dem WDR. Feuer und Flamme dokumentiert Einsätze und den Alltag der Feuerwehrleute in Gelsenkirchen und Bochum und schafft es eindrücklich darzustellen welchen Ausnahmesituationen diese Menschen alltäglich ausgesetzt sind. Der Tod rührt dabei nicht selten zu Tränen. Dabei stellt sich in der nunmehr siebten Staffel die Frage: Wo endet der Einblick in das Berufsbild und wo fängt das öffentlich-rechtlich ausgestrahlte Gaffen an? Ohne das Leid der gezeigten Personen gäbe es diesen Content nicht. Die nun in F1ref1ghter2 zu Zwecken bundesweiter Unterhaltung, zum Teil mit vollem Körper gezeigte, nur gesichts-verpixelte Person, die aus den Gleisen an der Hamburger Straße befreit wird, nachdem sie von einer U-Bahn überrollt wurde und sich ihr Trauma inklusive dazugehöriger Blutlache auf unbestimmte Zeit in der Mediathek wird anschauen können, erfährt meines Erachtens eine schwerwiegendere Verletzung ihrer Würde als es jede vorbeiziehende Smartphone-Kamera ermöglicht hätte.

Zum Gewicht unserer Daten

Digitale Kaufentscheidungsräume für Software (App Stores) pflegen mit den sogenannten Datenschutzlabeln ein Initiativkonzept zum besseren Verständnis von Datenschutzangaben. Jüngste Forschung zeigt jedoch, dass Nutzende aufgrund mangelnder Rezipierfähigkeit keinen Mehrwert aus den Labels ziehen. Gleichzeitig gilt das Privacy Paradox für digitale soziale Infrastruktur als erwiesen: Nutzende verhalten sich entgegen ihren datenschutzrechtlichen Bedenken. In dieser Auseinandersetzung wird ein Mangel an Wissen und intuitiver Veranlagung zum (ideologischen) Wert der eigenen Daten als Ursache unterstellt und als Lösungsvorschlag eine Ampelkennzeichnung (TLL) konzipiert, welche die informationsarchitektonischen Dimensionen der Datenschutzlabel Apples, bestehend aus Personenbezug, Verwendungszweck und Beschaffenheit erfasster Daten, unmittelbar visuell transportiert und zusätzlich über die Gesetzeskonformität eines Angebots informiert. Dazu werden mögliche menschengenerierte Datentypen im Sphärenmodell des Persönlichkeitsrechts verortet und so Gewichte abgeleitet, die im Verhältnis zu den anderen (gewichteten) Dimensionen ein Gesamtgewicht für ein Angebot erzeugen, welches wiederum die automatisierte Zuordnung eines Angebots zu einer Farbe des TLL ermöglicht. In einer ersten empirischen Evaluation wird der Versuch unternommen, diese Gewichtsverteilung in einer quantitativen Expert:innen-Befragung zu validieren. Im Ergebnis wird weiterführender Forschungsbedarf zur Sache feststellt und entsprechende Herangehensweisen diskutiert. In einer darauffolgenden Implementierung kann das Transformationspotenzial des erdachten Konzepts erfolgreich aufgezeigt werden, bevor in einer zweiten empirischen Evaluation der Effekt auf Nutzende untersucht wird (n=70). Dabei zeigt sich, dass das konzipierte TLL einen positiven Einfluss auf die handlungsspezifische Selbstwirksamkeit Datenschutzangaben korrekt interpretieren zu können hat und Nutzende den Ansatz begrüßen. So wird unter anderem geschlussfolgert, dass eine Ampelkennzeichnung, durch die breite Sensibilisierung gegenüber der individuellen Rolle im Geschäftsmodell von Digitalanbietenden, einen Beitrag im Angehen gesellschaftlicher Herausforderungen leisten kann, deren Ursprung (oder unkontrollierbare Symptome) in der Funktions- und Wirkweise vermeintlich kostenfreier digitaler Infrastruktur liegen.

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Call me by Your Name

Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich. Beneidenswert einfältig daher der Evergreen, der ein unaufgeregt trotzendes und verlässliches Dasein pflegt. Weit in der Überzahl jedoch die in der Schönheit der Vergänglichkeit geeinten blühenden Gewächse in ihrer besonderen Vielfalt. Geschichten über die Liebe werden nie alt. Call Me by Your Name erzählt in triefender Weise und in quälend stereotypischer Bildsprache vom Verliebtsein, wobei der brillant gespielte Liebestaumel des jungen Timothée Chalamet die Wahl der Mittel heiligt. Heimlichkeit, Homosexualität und ein Altersunterschied machen diese Liebe aus – über gefühlte, groschenromanartige Stunden lässt sich so bis kurz vor Schluss, als das Leben die Verliebten schon getrennt hat und der Kummer einsetzt, annehmen, dass der besondere Mut diese Geschichte, die im letzten Jahrhundert spielt, erzählenswert macht. Und dann fallen Worte, die kein Auge trocken lassen, sofern sie kein Evergreen sind, und diese Romanverfilmung unerwartet bewegend machen – abhängig davon, wie sehr ihnen der Winter zugesetzt hat: von der merkwürdigen warmen Brise über sorgsam gepflegte Schneedecken bis hin zu Wasserfällen, wie sie nur der Frühling lostreten kann. Kaltlassen wird es Sie nicht.

Barbie

Barbie erzählt die Geschichte einer Mutter, die sich durch die erwachsen werdende Tochter, in einer existentiellen Identitätskrise findet. Eltern verlieren im Loslassen müssen bekanntermaßen die Sicherheit einer jahrelangen Kontrollierbarkeit der unmittelbaren sozialen Umwelt, deren Wegfall unter anderem die eigene Selbstwirksamkeit in Frage stellt und somit Fragezeichen setzt, wo lange Punkte walteten. Weil diese Mutter nun Trost in der Barbie sucht, die einst dem gemeinsamen Spiel diente und jede Barbie neben ihrem Puppen-Dasein in der echten Welt auch ein eigenständiges Leben im Barbieland führt, entladen sich diese Fragezeichen auch in jenem Land, in dem alle Barbies zu Hause sind und eine schwerelose Leere das unendliche, alltägliche Awesome bestimmt. Und so wird die Identitätskrise der Mutter zur Identitätskrise Barbies, die eine durchweg unterhaltsame Reise durch fest Geglaubtes und neu Gedachtes, durch Zeit und Gegenwart lostritt. Mitreißend musikalisch untermalt von Pop-Größen wie Billie Eilish oder Tame Impala, entwickelt sich durch den glänzenden Cast (Margot Robbie, Ryan Gosling, Michael Cera) eine kulturelle Wucht, die mindestens beweist: Hollywood und das Kino können noch Antworten liefern - auf welche Frage genau, liegt im Auge des Betrachters. Wer sich in irgendeiner Form mit dem Zustand der Welt oder sich selbst auseinandersetzt, findet sich in diesem Film wieder, der im Zweifel nichts weiter will als unterhalten.
Der weltweite Erfolg ist dahingehend nicht nur Hoffnungsschimmer. Dem Kapitalismus, dessen unverschämtes Produkt dieser Film zweifelsfrei ist, gelingt darüber hinaus ein bemerkenswertes Kunststück: Er schenkt sich selbst ein ansehnliches Friedensangebot. Es ist ein Angebot von innen heraus, das Angebot eines kränkelnden, autopoietischen Systems, das sich ebenfalls der Identitätskrise bekennt und den Versuch unternimmt Streit beizulegen, sich selbst zu verzeihen, in dem es Schuld anerkennt, erklärt wie es eigentlich gemeint war und Antworten gibt, mit denen sich fortan arbeiten ließe. Kann der Kapitalismus dem Charme seiner eigenen Kinder wiederstehen? Barbie und Ken, DEN, Stereotypen einer längst überholten Zeit? Der Merchandise-Shop Mattels sagt (‘I am Kenough’ Pullover, 100 % Polyester, Made in China, € 70,00), das kann er problemlos, ohne dabei viel dazu zu lernen. Und doch adressiert dieser Film größeres, etwas, das die Kraft hat den Glauben neu zu entfachen, etwas, das die Hoffnung auf die Bereitschaft zu echter Veränderung schürt.
Der Film schließt mit Barbies’ erstem Termin beim Gynäkologen in der echten Welt. Eine lästige, zumal intime, Routineuntersuchung, aber wie so oft im Leben, ist es weniger relevant wo man oder frau, der Kapitalismus oder Barbie steht, sondern wie Barbie dort hingekommen ist. Barbie, jedenfalls, ist hellauf begeistert.

Der gelbe Elefant

Im ersten Reflex erscheinen Strunks’ Kurzgeschichten mitunter menschenverachtend, weil er in schmerzhafter Weise die Lupe auf die zum Teil wahnsinnig anmutenden, egoistischen Wesenszüge seiner Figuren legt. Es sind keine Geschichten aus dem sozialen Abseits, die ein Sichtbarmachen als Anreiz zum Erzählen erkennen lassen, sondern die milieuübergreifende Zurschaustellung von Charakteren, die ausschließlich ohne Happy End ihrer selbst unterliegen. Es fällt schwer, aus dem Absteigen in menschliche Abgründe einen Mehrwert zu ziehen, denn was bleibt, ist das schale Gefühl eines Sofa-Voyeurismus. Bei genauerer Betrachtung muss man jedoch zum einen feststellen, dass der seelische Aufruhr Ausweis eines gelungenen Schriftwerks sein muss; denn die ein oder andere Geschichte wird es vermutlich schaffen, für immer im Kopf zu bleiben und einen unverhofft und warnend einzuholen, wie die eigenen, als Wegweiser der Selbstreflexion dienenden, besonders peinlichen Fehltritte, die im Leben passiert sind. Zum anderen gefällt am starken Duktus, der Tragik an den richtigen Stellen eine Prise gelungenen Humor beimischen zu können. Die Tristesse voyeuristischer Scham wird weniger diejenigen vereinnahmen, die, ähnlich wie bei Horrorfilmen, Fan von Autor oder Genre sind.

Squid Game

Der Erfolg von Squid Game lässt sich wohl am besten durch Verdaulichkeit beschreiben: Die Bilder sind in ihrer Übersteuerung und comichaft-aufgeräumte Ästhetik bereits so produziert, wie man sich in einem Jahr, bei dem Versuch durch Überzeichnung wesentliche Punkte zu verdeutlichen, erinnern würde. Die Handlung ist darüber hinaus in einem Satz erzählt und vereint das Lebensgefühl der Gegenwart mit einer zeitgeistigen Erzählweise, die in ihren schwer greifbaren Extremen Social Media in nichts nachsteht. Alles in allem stellenweise langatmig, aber in in der Andersartigkeit sehr unterhaltsam.

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